Mit Axel Scholz kommt ein erfahrener Kollege, der sich selbst als "ordinierter Feuerlöscher" bezeichnet. Kerstin Tiemann schmunzelt, als sie diese Worte spricht, und die versammelten Besucher des Reformationsgottesdienstes lächeln leise. Später werden sie laut applaudieren und mit dem "Neuen" bei Sekt und Salzstangen auf dessen Ankunft anstoßen. Die Stimmung ist hell und leuchtend an diesem dunklen Herbstabend in der kleinen Kirche von Geversdorf. Die Musik des örtlichen Posaunenchors sowie der Gesang der vereinten "Happy Singers" aus Cadenberge und des Singkreises aus Bülkau unter Leitung von Mariola Hoss-Hillmann tun ihr Übriges, diese Einführung - zelebriert von Vikarin Alyssa Baatz und Pastorin Franziska May - zu einer besonders fröhlichen zu machen.
"Wann ist zuletzt in Geversdorf ein Pastor eingeführt worden?"
Dem diensthabenden Pastor Klaus Volkhardt müsse ein ganzer Felsbrocken vom Herzen gefallen sein, als er die gute Nachricht erhalten habe, durch Pastor Scholz tatkräftige Unterstützung zu erhalten, sagt die Superintendentin mit Blick auf die Tatsache, dass in der Kirchengemeinde "Am Dobrock" mit Pastor Bert Hitzegrad und Uwe Beuermann vor kurzem gleich zwei verdiente Kollegen nahezu zeitgleich in den Ruhestand gegangen sind. "Das ist schwer für den, der alleine zurückbleibt", weiß die Superintendentin, "das ist hart für die Ortskirchenvorstände." Umso größer sei die Freude, den 58-jährigen Scholz - nicht nur weitgereister Pastor, sondern auch ausgebildeter Gymnasiallehrer für Evangelische Religion - am Festtag zu Ehren Martin Luthers offiziell einführen zu dürfen. Wann sei zuletzt in Geversdorf ein Pastor eingeführt worden?, fragt Tiemann rhetorisch in die Runde.
Drei Gemeindepraktika in drei sehr verschiedenen Regionen"
"Während seiner theologischen Ausbildung hat Axel Scholz drei Gemeindepraktika absolviert, die ihn in drei sehr verschiedene Regionen geführt haben", stellt die Superintendentin den gebürtigen Hildesheimer vor. Sie berichtet von seinen Stationen im kanadischen Leamington, von Crivitz in Mecklenburg-Vorpommern und von der Zeit, die Scholz auf Spiekeroog gewesen ist. "Bereits diese Auswahl an Praktika zeigt, wie interessiert er an der unterschiedlichen Ausprägung von Kirche ist und wie groß sein Interesse an Bildung und dem Kennenlernen unterschiedlicher Kulturen ist", sagt die Superintendentin.
Auch im Bereich der Erwachsenenbild schon aktiv gewesen
Als Musikliebhaberin ist Kerstin Tiemann sofort der musikalische Schwerpunkt von Axel Scholz aufgefallen: "Seit 1977 spielt er klassische Gitarre, seit 1986 ist er intensiv in die Komposition serieller Musik für Klavier, Orgel und Chor eingestiegen. Er muss darin richtig gut sein", anerkennt die Superintendentin. Außerdem begeistere sich Scholz für Partnerschaftsarbeit im Rahmen der Ökumene und für das Hobby der Photographie. Besonders bewandert sei der neue Pastor auch im Bereich der Erwachsenenbildung, wo er Veranstaltungen zu Männersonntag und Bibelwochen gegeben und Kirchenvorstandsseminare und Einführungen ins theologische Denken gehalten habe.
"Hier kommt einer mit ganz vielen Gaben und großem Erfahrungsschatz"
Doch damit nicht genug: Im Bereich Seelsorge hat Scholz neben dem Grundmodul auch den Aufbaukurs Notfallseelsorge besucht, was nicht nur die Betroffenen, sondern vor allen Dingen die Kollegen im Kirchenkreis freuen wird, hebt Tiemann hervor. "Hier kommt jemand mit ganz vielen Gaben und mit einem großen Erfahrungsschatz, der nicht zuletzt durch seine vorherige Tätigkeit auf der 2. Pfarrstelle der Kirchengemeinden St. Stephani Meine und St. Vinzenz in Grassel im Kirchenkreis Gifhorn gefüllt worden ist."
Als "Springer" springt Axel Scholz irgendwann wieder weg
"Ich möchte nicht zu viel verraten", sagt Tiemann dann, "lassen Sie sich überraschen." Sie gibt den Kirchenbesuchern - bei aller Freude an jenem Abend - aber auch zu bedenken, dass mit Herrn Scholz ein Springer am Start sei. "Er kommt vor allen Dingen, um auszuhelfen, die ,schlimmsten Brände' zu löschen. Axel Scholz steht Klaus Volkhardt zur Seite, und irgendwann springt er wieder weg - im besten Fall dann, wenn sich die Vakanz-Situation in der Gesamtkirchengemeinde gelöst hat", unterstreicht die Superintendentin.
"Zur Mitarbeit im Kirchenkreis beauftragt sind wir letztlich alle"
Nach seiner Einführung tritt der "Neue" - offiziell bis 31. Dezember 2028 im Amt - ans Pult. Axel Scholz präsentiert sich der hoffnungsfrohen Kirchengemeinde als zugewandter Gottesmann, der nicht nur seine Tätigkeit als "Springerpastor" erfrischend interpretiert, sondern auch nachdenklich reflektiert, wie sich der evangelisch-lutherische Glauben im Allgemeinen und die aktuelle Situation im Kirchenkreis Cuxhaven-Hadeln im Besonderen entwickelt. "Aus der Beauftragung zur Mitarbeit im Kirchenkreis geht noch nicht unbedingt das Spezifikum meines Dienstes hervor", sagt er. "Denn beauftragt zur Mitarbeit im Kirchenkreis sind wir letztlich alle: die Hauptamtlichen in geordneter Weise durch Dienstauftrag oder Stellenbeschreibung, die Ehrenamtlichen - wie alle Christen überhaupt - in allgemeiner Weise durch ihren Glauben."
"In dem Wort ,Springer' steckt mehr evangelische Wahrheit, als es zunächst scheint"
"Martin Luther lehrt uns, unser Christsein als ein Amt zu verstehen, in das wir alle durch den Gott geschenkten Glauben eingesetzt sind", sagt Scholz. Dazu bedürfe es nicht erst eines Vertretungspastors. Scholz: "Was reformatorische Kirche ist, dem kommen wir näher, wenn wir auf die umgangssprachliche Bezeichnung dieses Vertretungsdienstes schauen: In dem Wort ,Springer' steckt mehr evangelische Wahrheit, als es zunächst scheint", meint der 58-Jährige, auch wenn er bei diesem Begriff zunächst an "Sackhüpfen" denken müsse, vielleicht wie früher auf Kindergeburtstagen. "Natürlich hüpft kein Springer-Pastor im Jutesack durch seine Gemeinde - zumindest nicht, dass ich es wüsste", formuliert Scholz augenzwinkernd. Gleichwohl stecke in dieser umgangssprachlichen Bezeichnung genau jene Dynamik, die einer reformatorischen Gemeinde eigen sein sollte.
Mit Mut und Gelassenheit in die Gestaltung der Gegenwart stürzen
"Eine evangelische Gemeinde im reformatorischen Sinne ist von solcher Art, dass sie sich vor lauter Vorfreude auf die Zukunft mit Mut und Gelassenheit in die Gestaltung ihrer Gegenwart stürzt", formuliert der eben erst eingeführte Pastor. "Denn sie weiß, dass das, was sie in ihrer Mitte zusammenhält, nicht von dieser Welt ist. Und sie weiß, dass am Ende alles gut wird, denn ihr Ende ist Christus", sagt Scholz und verweist zur Bekräftigung dieser christlichen Grundhaltung auf den Brief von Apostel Paulus an die Gemeinde zu Philippi.
Der "Springer" verkörpert die Vergänglichkeit von Kirche par excellence
"Ein Springer ist ein ordinierter Feuerlöscher", führt der "Neue" weiter aus, "er kommt, wenn's brennt, ist also eine Notlösung auf Zeit." Er komme, um genau das nicht zu tun, was alle sich so sehr wünschten: zu bleiben. Damit verkörpere er die Vergänglichkeit von Kirche par excellence und widerspreche der Sehnsucht vieler Gemeinden, wonach Pastorinnen oder Pastoren mindestens bis zum Ruhestand bleiben mögen, dass Gemeindehäuser um jeden Preis bleiben und der wöchentliche Sonntags-Gottesdienst bleibe - auch wenn schon lange kaum noch einer hingehe.
Pflege und Erhalt sind wichtig, wenn sie dem Glauben an Jesus Christus untergeordnet sind
"Die Angst vor der Veränderung ist mächtig", erklärt Scholz und nimmt damit auch Bezug auf die aktuelle Kosten- und Strukturdebatte im Kirchenkreis. "Wir werden ebenso vergehen wie unsere Kirchen, Orgeln und Gemeindehäuser." Diese im Rahmen menschlicher Möglichkeiten zu erhalten, sei gemeinschaftliche Aufgabe, solange sie dem diene, dem alles untergeordnet sei: dem lebendigen Glauben an Jesus Christus. Gerade als Springer gebe er zu bedenken: "Der historische Abendmahlskelch, die denkmalgeschützte Kirche und die aufwendig restaurierte Orgel sind allesamt nur Dinge auf dem Weg zum ewigen Leben. Es sind Äußerlichkeiten, die dem Wandel unterliegen. Veränderungen aber machen, wie gesagt, vielen unter uns Angst."
"Viermal im Jahr eine neue Kollektion, alle zwei Jahre ein neues Smartphone"
Diese Angst vor dem Neuen in unserer schnelllebigen Zeit würde auch irritieren - "viermal im Jahr eine neue Kollektion, alle zwei Jahre ein neues Smartphone und jedes Jahr ein neues Leasingfahrzeug - aber bei Kirche soll alles so bleiben, wie es schon immer war?" Die katholischen Geschwister von St. Andreas in Meine hätten ihre Kritik an einem derart verstandenen Konservativismus auf der Titelseite ihres Gemeindebriefs im Juni 2023 in Anlehnung an den jüdischen Lyriker Erich Fried treffend in folgende Worte gefasst: "Wer will, dass die Kirche so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bestehen bleibt."